Ich hab mal 160 kg gewogen. Das war viel und ganz sicher auch nicht gesund, weder für meinen Körper, noch für die Psyche. Selbstbewusstsein habe ich damals vorgetäuscht – das war für mich einfacher, als mich meinen Problemen zu stellen.
Trotz alledem hatte ich nie Probleme damit, zu daten – ganz im Gegenteil. Die Aufmerksamkeit von Männern half mir, mich mehr wertzuschätzen – was im Umkehrschluss leider nur das Gegenteil beweist. Denn Wertschätzung fängt bei sich selbst an – erst wenn man sich selbst mögt, kann man dies auch von anderen zulassen.
Inzwischen bin ich wieder zurück auf dem Dating-Markt – diesmal mit Normalgewicht. Was ca. 80 kg weniger beim Erschließen des Dating Marktes ausmachen, habe ich hier festgehalten:
Tinder, Lovoo, Facebook und Co. – ich kenne sie alle. Ich habe diese Plattformen schon immer gerne genutzt. Ja, es ist sicher ein Millenial-Ding und es ist auch ganz furchtbar oberflächlich – aber auch bequem. Gemütlich vom Sofa aus, mit Assipalme und fleckiger Jogginghose, den Nächsten klarmachen, bei dem man dann aufgemotzt erscheint – das ist/war mein Ding.
Ich habe damals auch typische „Dicke Mädchen Selfies“ hochgeladen. Was ich damit meine? Ganz einfach: Bilder die schräg von oben aufgenommen wurden. Das Äquivalent hierzu sind übrigens Penisbilder, die von unten schräg aufgenommen wurden (hab ich gehört.)
Das Doppelkinn verschwindet, die Pausbacken wirken maximal süß und ab der Schulter abwärts kann man nicht mehr erkennen, um welchen Körpertyp es sich handelt, was jedoch von den wenigsten hinterfragt wird. Dann darf man natürlich nicht die Filter vergessen sowie eine freche Caption à la „Nur Hunde spielen mit Knochen“. Ich kann hier beide Seiten verstehen: Die Frau, die nicht aufgrund ihrer äußerlichen Erscheinung abgelehnt werden möchte. Aber auch den Mann, der sich bei einem eventuellen Treffen leicht verarscht vorkommt. Denn seien wir mal ehrlich: Es hat nichts mit Oberflächlichkeit zutun, optische Präferenzen haben wir alle und wenn du als Mann nun mal nicht auf Übergewichtige stehst, nützt dir auch ihr überaus toller Charakter nichts. Deswegen verstehe ich auch, wenn Mann dann doch etwas erschrickt beim ersten Treffen (was sie oft aber vom Sex nicht abhielt).
Aber langes Vorwort, hier sind die gravierendsten Unterschiede, die ich zwischen 3 Jahren und 80kg Unterschied feststellen durfte.

1. Man muss sich weniger Mühe geben:
Ja, das klingt hart. Das habe ich inzwischen auch in anderen Lebensbereichen erfahren: Ob beim Bewerbungsgespräch oder ähnlichen Verhandlungen. Denn ich musste immer Leute von mir überzeugen, egal worum es ging. So versuchte ich immer besondere Stärken hervorzuheben: Intelligenz, meine Kochkünste, aber auch persönliche Sachen wie Erfahrung im Bett (Nicht beim Bewerbungsgespräch!). Heute ist das anders. Ich muss mich weniger profilieren, um interessant zu sein. Ich kann mehr ich selbst sein, ohne zu denken, dass ich mit einem interessanten Charakter mein Übergewicht „überspielen“ müsste. Ich schminke mich auch viel weniger oder kleide mich anders.
2. Man hat selbst die Wahl
Als Adipöse Grad 3 war es so: Ich war froh, wenn sich jemand für mich interessierte. Red Flags, die ich mir eigentlich setzte, wurde dann gar nicht mehr so ernst genommen und ignoriert, denn immerhin war der Typ ja passabel und wenn so ein „toller“ Kerl sich für eine wie mich interessierte, „sollte“ man selbst nicht so pingelig sein. Dass man gerade dann an totale Fuckboys, Vollidioten und Psychopathen geriet, blendete ich aus. Heute ist das anders: Passt mir etwas nicht, spreche ich offener an, dass es nichts wird. Vor kurzem hatte ich stundenlang mit jemandem getextet. Er war ganz süß und wirkte eigentlich auch ganz cool. Doch kurz nachdem wir Nummern austauschten, sah ich, dass er rassistischen und sexistischen Bullshit in seinem Status teilte: Meine Reaktion: Bye boy!

Ich habe gelernt, auf meine Bedürfnisse und mein Bauchgefühl zu hören und mich nicht an jeden Funken Aufmerksamkeit um jeden Preis zu klammern.
3. Man gerät mitunter an Fetischisten
Die meisten von uns haben einen bestimmten Typen Mensch, auf den sie stehen. Egal ob dünn, dick, blond, bärtig oder vielleicht auch zugepflastert mit Tattoos. Das ist durchaus normal und grundsätzlich nichts Vorwurfsvolles. Nur leider gibt es auch Fetischisten, die auf Dinge stehen, die körperlich eher bedenklich sind: Nämlich massives Übergewicht. Es macht sie an, wenn man außer Atem gerät bei alltäglichen Erledigungen wenn man im Bett liegend Kuchen isst und die Schenkel beim Laufen laut aneinander klatschen. Ich bin auch schon mal an so jemanden geraten. Als wir chinesisch essen waren und ich nach meinem 2. Teller vom Büffet nichts mehr wollte, ging er selbst los und holte mir noch Essen und auch gleich Dessert dazu. Ich habe erst im Nachgang realisiert, was da passierte. Traurig ist aber, dass sehr viele Frauen sich darauf einlassen, denn sie denken, sie werden nun „geliebt“, wie sie sind. Das ist jedoch nicht der Fall, hier geht es rein um Kontrolle und Macht. Generell nervt es, wenn der eigene Körper fetischisiert wird, vor allem, wenn man selbst sehr unzufrieden damit ist. Ein Fetisch ist grundsätzlich nichts Vorwurfsvolles – wenn er aber auf Kosten der Gesundheit von anderen geht ist das ein absolutes No Go und krankhaft. Außerdem sollte kein Körper – egal ob dick, dünn, groß, klein, etc sexualsiert werden.

4. „Nein“
Das Folgende ähnelt Punkt 2 zwar etwas, aber ich möchte es trotzdem noch eimal separat ansprechen. Da ich nun Selbstbewusster bin und es nicht nur vorgeben muss zu sein, bin ich auch in der Lage, zu bestimmten Dingen eher Nein zu sagen und meinen Standpunkt besser zu vertreten. Das können viele unterschiedliche Dinge sein: Wenn ich mich an einem bestimmten Tag nicht treffen möchte, ein Nein zu einem bestimmten Ort. Aber auch was Zwischenmenschliches angeht, habe ich gelernt, dass man keine Angst haben braucht, Nein zu sagen. Denn früher wollte ich nicht als „zickig“ gelten, wenn ich schon so dick bin und habe öfter mal mich und meine Bedürfnisse zurückgestellt.
Vieles sehe ich heute anders. Damals habe ich mich Männern hingegeben, die definitiv kein guter Umgang für mich waren, sei es Dates, Affären oder One Night Stands. Aber leider spielte mir mein mangelndes Selbstbewusstsein immer einen Streich und redete mir ein, ich solle doch überhaupt froh sein, dass sich jemand für mich interessierte. Ich bin froh, dass dies heute nicht mehr so ist, denn mit den 80 Kilo, die ich verloren habe, habe ich gleichzeitig eine Menge Wertschätzung gewonnen. Außerdem muss ich nicht mehr 3 Stunden vorm Spiegel stehen, bevor ich mich mit jemandem treffe, um zu versuchen, tatsächlich so auszusehen, wie auf meinen Bildern. Das erspart mir nicht zur viel Zeit, sondern auch Kosten für Make Up.